Intergenerationeller Dialog

Verständnis von Gemeinschaft, Generationen, Intergenerationelles Lernen und Praxis

Dušana Findeisen, Slowenische Universität des 3. Lebensalters, Ljubljana, Slowenien

Schwerpunkte von DANET sind Bildung und Lernen im späteren Lebensalter, soziale Teilhabe, intergenerationeller Dialog und kulturübergreifende Zusammenarbeit. Jeder Bereich steht in Zusammenhang mit dem aktiven Alter sowie Lernen und Bildung im höheren Lebensalter, die beide ihrerseits zu einem aktiven Alter gehören. Darüber hinaus sind sowohl das Lernen im späteren Lebensalter als auch das intergenerationelle Lernen Wege, das individuelle Leben zu verändern und das aktive Altern innerhalb der Gemeinschaft der Generationen zu fördern.

 

Aktives Altern heißt Öffnung der sozialen Netze ‑ Bedürfnisse, Lernen, Beziehungen

In dieser Hinsicht bedeutet aktives Altern, dass ein älterer Mensch kontinuierlich Kontakte zu jüngeren Generationen pflegen und mit ihnen zusammenarbeiten muss. Undenkbar wäre esvor allem, dass aktive ältere Menschen (die immer weiter lernen, sich Ziele setzen, neue Menschen kennen lernen, an der Gesellschaft teilhaben) sich von anderen Generationen absondern und sich ausschließlich im sozialen Gefüge ihrer eigenen Altersgruppe einschließen, denn dann würden sie ihre Kultur und ihr durch Erfahrung erprobtes Wissen nicht anwenden, und es würde vergeblich darauf warten, weitergegeben zu werden. Diesen kostbaren Besitz könnten – und sollten – sie als Geschenk an ihre eigene Altersgruppe und auch an alle Jüngeren weitergeben.

Daraus folgt: Intergenerationelles Lernen findet immer dann statt, wenn eine Generation braucht und wertschätzt, was eine andere anzubieten hat: Jugendarbeit, die Großelternrolle, Lernhilfen für Schulabbrecher/-innen und junge Leute mit besonderen Lernschwierigkeiten, kulturelle Orientierung und Unterstützung für Erasmus-Austauschstudent/-innen, Anleitung als Mentor/-innen für Berufseinsteiger/-innen, Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten an Jüngere und vieles mehr. Natürlich findet intergenerationelles Lernen auch dann statt, wenn alle beteiligten Generationen Bedürfnisse haben. Werden sie zusammengeführt, werden gemeinsam neues Wissen generiert und Ergebnisse erzielt.

Niemand kann einem anderen Menschen etwas schenken, wenn er mit ihm nicht zuvor in Kontakt, in einen Dialog getreten ist. Heute, bei immer stärkerer Fragmentierung der Gesellschaft, wird es immer schwieriger, für einen „natürlichen“ intergenerationellen Dialog zu sorgen – die Art Dialog, bei dem die Generationen „einander wirklich beobachten und wirklich sehen, einander wirklich zuhören und wirklich hören“. Ohne Motivation, ohne geeignetes Thema, Gelegenheit und Unterstützung unterbleibt er.

Das sieht DANET als seine Aufgabe: Die Vervielfältigung von Möglichkeiten und die Ermutigung zum Aufbau unterstützender Strukturen, damit die Generationen einander begegnen und gemeinsam arbeiten können. Davon profitiert jeder einzelne Mensch, doch vor allem auch die Allgemeinheit. Die Arbeit findet auf lokaler, nationaler und vorzugsweise auf europäischer Ebene statt.

Oft herrscht das Vorurteil, ältere Menschen seien an ihren Privatangelegenheiten im kleinen Rahmen interessiert, und deshalb beschäftigten sich jüngere Menschen meist nicht mit ihnen. Das ist weit von der Wahrheit entfernt! Wenn Gelegenheiten geschaffen werden, etwas Gemeinsames zu schaffen und einander etwas zu geben, stärkt das wechselseitige Geben die Gemeinschaft in ihren Interessen. Geben und Nehmen lassen Beziehungen entstehen.

Die Generationen mögen heutzutage autonomer sein. Doch je größer die Autonomie und Freiheit, desto weniger fühlen sich die Menschen ihren Vorgängergenerationen verpflichtet, und umso weniger Aufmerksamkeit widmen sie dem Schicksal der kommenden, was den Zusammenhalt in der Gesellschaft immer mehr lockert. Intergenerationelles Lernen dagegen ist eine Möglichkeit, einander kennen zu lernen, gemeinsam zu lernen, zusammenzuarbeiten und auf diese Art Verbindungen nicht nur zwischen den Generationen zu knüpfen, sondern auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.

Es gibt eine Antwort auf die aktuelle Krise der Solidarität, mit allem, was bisher darüber gesagt wurde. Die Internet-Community gewinnt allmählich wieder an Bedeutung. Denn während der ganzen Sozialgeschichte hindurch hat sich der Mensch durch seine Zugehörigkeit zu einer intergenerationellen Gemeinschaft gegen Tiefschläge geschützt, erfuhr Anerkennung durch andere, formte seine Identität, lernte von anderen und gab seinerseits Wissen weiter.

Im intergenerationellen Dialog und in der Praxis werden die Generationen zusammengeführt. Ob und wie das funktioniert, ist eine Frage des guten Willens und des Wissens. DANET hat sich zur Aufgabe gemacht, geeignetes Wissen zu entwickeln und anzuwenden. Die Mittel dazu sind die Schulung von Lehrer/-innen, Trainer/-innen und Gruppenleiter/-innen, die Unterstützung intergenerationeller Initiativen, Projekte und Praktiken besonders in der Donauregion.

Generation: Definition und charakteristische Merkmale

Anders als erwartet, ist eine “Generation” kein dem Zeitablauf geschuldetes, sondern ein soziologisches Phänomen. Generationen werden geprägt von historischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ereignissen und Veränderungen. Demnach muss man, um eine Generation zu verstehen, die sie prägenden sozialen Veränderungen durchschauen, wobei drei zentrale Aspekte hervorgehoben werden können.

  • soziale Differenzierung, Ungleichheiten zwischen den Generationen und innerhalb jeder Generation selbst;
  • Veränderungen bei den Formen der Sozialisation und Integration sowie das Aufweichen des Modells des Erwachsenenalters;
  • Politische Verhältnisse und Probleme der Generationengerechtigkeit, die offenbar in den letzten rund 20 Jahren nicht gelöst worden sind.

Generationen existieren vor einem bestimmten strukturierenden Hintergrund, beispielsweise einer bestimmten Erfahrung. Ein Beispiel: Generationen, deren Mitglieder 1968 etwa 20 Jahre alt waren, erlebten Studentenrevolten und kollektive Aktionen in ganz Europa. Sie traten aus ihrer Privatsphäre heraus an die Öffentlichkeit. Dagegen junge Leute, die 2015 etwa 20 Jahre alt sind, sehr stark abhängig von ihrer Privatsphäre, ihren Eltern, ihrer Mutter, und sich schwer vorstellen können, dass sie Einfluss auf die Gesellschaft ausüben können. Es gibt außerdem aktivere und passivere Generationen. Alle müssen vertrauter miteinander werden, sie haben eine Menge voneinander zu lernen, und das kann am besten in einem kreativen gemeinsamen Prozess erreicht werden.
Generationen haben gemeinsame Charakteristika ‑ oder eben auch nicht. Ähnlichkeiten und Unterschiede müssen beim Strukturieren von intergenerationellem Dialog, Lernen, Wohnen und intergenerationeller Zusammenarbeit berücksichtigt werden.

Intergenerationelles Lernen und intergenerationelle Bildung eröffnen unterschiedlichen Generationen einen Raum. In der intergenerationellen Praxis werden Sozialisations- und Integrationsprozesse sichtbar gemacht, was zum Verständnis von Ähnlichkeiten und Unterschieden beiträgt.

 

Theoretischer und konzeptioneller Hintergrund des intergenerationellen Lernens und Dialogs

Verschiedene Gesellschafts-, sozio-kulturelle und sozioökonomische Theorien, außerdem Theorien der Gemeinschaftsbildung sowie des Lernens in der Gemeinschaft lassen sich auf die intergenerationelle Teilhabe und das intergenerationelle Lernen übertragen (Bourdieu, 1983; Putnam, R.D., 2000).

Es darf nicht vergessen werden, dass das französische Konzept und die Praxis der „sozio-kulturellen Animation“ ein ideologisches Erbe der sozialen Bewegung der Volksbildung (19. und 20. Jh.) sind, die darauf abzielte, Erwachsenen die Kultur nahezubringen und sie zu verantwortlichen, kritischen Bürgern zu erziehen. In pädagogischer Hinsicht entspringt die sozio-kulturelle Animation psychologischen Theorien, die sich mit Gruppen als Räume des Ausdrucks und der Kreativität befassen. Soziologisch betrachtet, reflektiert die sozio-kulturelle Animation den Aufstieg der Freizeitgesellschaft. Unter kulturellem Blickwinkel wurde die sozio-kulturelle Animation besonders während der Mitte der 1960er bis 1970er Jahre in den Unterricht übernommen. Sozio-kulturelle Animation befasst sich mit gesellschaftlicher Entwicklung, Teilhabe und Kultur. Als Praxis ist sie „mit der Vergangenheit verbunden und in die Zukunft geöffnet“ (Besnard, 1990).

Es gibt zahlreiche Theorien, die die Gemeinschaft und deren Entstehung beschreiben. Gemeinschaft wird oft mit Hoffnung assoziiert, mit dem Wunsch der Wiederbelebung einer engeren, wärmeren, harmonischeren Bindung zwischen Menschen (Elias 1974, zitiert bei Hoggett, 1997).

Folgerichtig kann man sich der Gemeinschaft als Wertbegriff nähern (Frazer 2000, Lindeman, 1910). In diesem Fall beruht sie auf Solidarität, Vertrauen, Normen und Verpflichtung. Einige Gemeinschaftstheorien konzentrieren sich auf die Gemeinschaft innerhalb ihrer jeweiligen geografischen Lage, andere auf bestimmte Gruppen von Menschen, die an einem bestimmten Ort leben, und wieder andere betrachten Gemeinschaft als Gebiet gemeinsamen Lebens. Bezieht man Gemeinschaft auf den geografischen Raum, sind Theorien des urbanen Lebensraums hilfreich, um die spezielle Funktion der städtischen Gemeinschaft zu verstehen.

Zusammengefasst, können Gemeinschaften auf Ethnie, Religion, Gesellschaftsklasse, Politik, Territorium, kulturellem Erbe, Interessen, ebenso auch auf Lernen und Bildung gegründet sein. Das Wesen der intergenerationellen Gemeinschaft ist die Schöpfung ihrer Mitglieder und kann ihnen nicht von außen aufgezwungen werden. So muss eine Gemeinschaft mehr als symbolische Struktur begriffen werden, und die Aufmerksamkeit hat sich verschoben, weg von der traditionellen Gemeinschaft hin zu einer in einem bestimmten Lebensraum gegründeten Form der sozialen Interaktion, hin zu einer Aufgabe mit Bedeutung und Identität (Cohen, 1985).
Folgerichtig basieren intergenerationelles Lernen und intergenerationelle Praxis auf Gruppen, wechselseitigen Bedürfnissen und gemeinsamer Verpflichtung.

Intergenerationelles Lernen, Lernen über Generationen und intergenerationelle Praxis
Jede intergenerationelle Praxis sollte intergenerationelles Lernen, doch auch das Lernen über Generationen beinhalten. Das sind verschiedene Dinge.

Intergenerationelle Praxis sollte vorzugsweise nachhaltige Struktur für das intergenerationelle Lernen und die Bildung über Generationen sein und auf die Festigung intergenerationeller Bindungen und Gemeinschaften zielen.
Wie die Bildung älterer Menschen und die Bildung über deren Lernen, hat das intergenerationelle Lernen eindeutig eine soziale Mission. Intergenerationelles Lernen ist nie neutral. Es geht nicht nur darum, ein akademisches Thema zu studieren. Im Gegenteil, es ist dazu gedacht, die Position der Generationen durch das Herstellen intergenerationeller Bindungen zu stärken.

 

Schlussfolgerung

Aktives Altern ist ohne Zusammenarbeit der Generationen, die eher als soziologisches Konzept als als zeitliches Phänomen verstanden wird, und offene soziale Netze nicht möglich. Der theoretische und konzeptuelle Hintergrund des intergenerationellen Lernens und Dialogs ist reichhaltig: Sozio-kulturelle Animationstheorie, Theorien der Gemeinschaftserziehung, der Gemeinschaft und viele weitere.

Intergenerationelles Lernen ist eine Angelegenheit der Gemeinschaft, einer Gemeinschaft der Generationen. Es findet immer dann statt, wenn eine Generation etwas braucht, das eine andere zu bieten hat.

Intergenerationelles Lernen ist nicht neutral oder mit dem Studium eines akademischen Fachs zu vergleichen. Es hat eine klare soziale Aufgabe und soll die Position der Generationen durch die Schaffung intergenerationeller Bindungen stärken.

Bietet man Generationen Möglichkeiten, zusammen kreativ zu werden, zu lernen, einander etwas zu geben, dann steht ihr wechselseitiges Geben für gemeinschaftliches Interesse. Beziehungen werden durch Geben und Nehmen gebildet. Intergenerationelle Praxis soll in der Hauptsache eine nachhaltige Struktur für intergenerationelles Lernen und intergenerationelle Bildung sein.

 

Literatur und Referenzen

Bauman, Z. (2001) Seeking Safety in an insecure world, Cambridge: Polity Press.
Bourdieu, P. (1983) ‘Forms of capital’ in J. C. Richards (ed.) Handbook of Theory and Research for the Sociology of Education, New York: Greenwood Press.
Besnard,P. (1990) L’animation socio-culturelle, Collection Que sais-je, No 1845, Paris: PUF.
Cohen, A. P. (1985) The Symbolic Construction of Community, London: Tavistock.
Frazer, E. (1999) The Problem of Communitarian Politics. Unity and conflict, Oxford: Oxford University Press.
Findeisen, et all ( 2013)Characteristics of Older Adult education, Ljubljana: Društvo za izobraževanje za tretje žviljenjsko obdobje.
Hoggett, P. (1997) ‘Contested communities’ in P. Hoggett (ed.) Contested Communities. Experiences, struggles, policies, Bristol: Policy Press.
Dumazedier, J. (1962):  Vers une civilisation du loisir,  Paris: Editions du Seuil.
Krajnc, A. (199) Kako smo snovali Slovensko univerzo za tretje življenjsko obdobje, Ljubljana: Društvo za izobraževanje za tretje življenjsko obdobje.
Lindeman, E. C. (1921) The Community. An introduction to the study of community leadership and organization, New York: Association Press.
Putnam, R. D. (2000) Bowling Alone. The collapse and revival of American community, New York: Simon and Schuster.
Sennett, R. (1998) The Corrosion of Character. The personal consequences of work in the new capitalism, New York: Norton.
Smith, M. K. (2001) ‘Community’ in the encyclopedia of informal education, http://www.infed.org/community/community.htm